Brücken bauen zu Menschen in der Ferne – Ein Weihnachtspost

Vier Mal habe ich mich dieses Jahr auf die Reise in unsere Projektgebiete begeben, zuletzt ging es am Nikolaus-Wochenende nach Nepal. Nach 2 Tagen in Flugzeugen und im Transfer lande ich dann in einer Welt, die ganz anders ist: Andere Sprachen, andere Kleidung, andere Gerüche, andere Landschaften. Obwohl ich in meinem Leben viele solcher Reisen unternommen habe, ist das jedes Mal wieder ein kleines Abenteuer. Dabei meine ich nicht die Beschwerlichkeiten der Reise: Ich kann gut für eine Weile ohne Manches leben, was bei uns selbstverständlich ist – Strom, Mobilfunknetz, gute Straßen, Leitungswasser, das man trinken kann. Und wenn der Jeep im Schlamm stecken bleibt oder eine Herde Ziegen die Weiterfahrt versperrt ist der Umgang damit inzwischen Routine. Was diese Reisen für mich abenteuerlich und immer wieder einzigartig machen sind die Begegnungen mit den Menschen.
Ich sehe viel Schönes auf diesen Reisen. Wenn junge Menschen, die durch unsere Förderung zur Schule gehen konnten, sich dafür mit Tänzen, Liedern oder einem kleinen Vortrag bedanken, rührt mich dies an. Es ist sehr motivierend, diese Fortschritte erleben zu können. Wenn man vom Schweiß in der Hitze oder vom Monsunregen selber aufgeweicht ist, dann wächst die Bewunderung für die Projektmitarbeiter vor Ort, die unter solchen Bedingungen kleine Wunder vollbringen – und für die Kinder, die trotz unserer mehrstündigen Verspätung mit Schlips und Schuluniform klaglos auf uns gewartet haben und uns dann lachend entgegen stürmen.

Häufiger sind solche Begegnungen aber auch mit großer Traurigkeit verbunden. Im Oktober brachte mich mein Projektdirektor schon frühmorgens zur Müllkippe von Guwahati. Der Gestank raubte mir den Atem, dazu stiegen beißende Dämpfe in die Nase. Doch um mich herum wuselten hunderte Menschen, darunter viele Kinder, die den frisch von den Müllwagen abgekippten Unrat nach Verwertbarem durchsuchten. Unser Programm für die kinderfreundliche Stadt schien mir in diesem Moment unglaubwürdig: Können wir für diese Kinder wirklich eine bessere Zukunft schaffen? Wir beschließen, das Nachbarschaftszentrum auszubauen und in intensiver Elternarbeit das Verständnis dafür zu wecken, die Kinder von der Müllkippe zur Schule zu schicken. Doch das wird nicht reichen, wir müssen mehr tun, und wissen noch nicht was und wie. Da war Station 2 ein Ausgleich: In der kleinen Schneiderwerkstatt um die Ecke lernten Mädchen fleißig an den Nähmaschinen – dieselben jungen Damen, denen ich noch vor einigen Monaten in der Steinmühle bei der Sklavenarbeit begegnet war. (Meine in der Müllkippe eingerissene Kurta wurde von Anita dort schnell wieder geflickt und parallel fand ich meine seelische Balance wieder.) Veränderung ist doch möglich.

Meine Emotionen fahren auf diesen Reisen Achterbahn. Das Elend, dem ich begegne, macht mich abwechselnd betroffen, wütend oder traurig, manchmal auch ratlos. Kinder, die talentiert und fleißig sind, haben dennoch keine Chance, nur weil sie am falschen Ort geboren wurden, der falschen Kaste angehören, oder Eltern haben, die selber in dem Teufelskreis von Ausbeutung , Drogen oder Krankheit gefangen sind. Und gleichzeitig kann man mit wenigem so viel bewirken: Ein Jahresschulstipendium für ein Flüchtlingsmädchen kostet uns in Assam nur 25 €. Eine Lehrerin ist glücklich mit 50 € Monatsgehalt – und kann dann 40 oder 50 Kinder unterrichten. Die Weberin freut sich, wenn sie ihren Tageslohn im Vergleich zur Akkordarbeit im Teegarten auf 2 Euro verdoppeln kann. Unsere Projekte können nicht alle Armut beseitigen, aber für inzwischen mehr als 30.000 junge Menschen in unseren Kursen, Schulen und Werkstätten verändert sich das Leben.

Der Schlüssel dafür sind die Menschen in unseren Projekten. Projektleiter, die selber mit der mangelnden Infrastruktur, schwierigen Wohnverhältnissen und hohen Anforderungen anderer Familienmitglieder ringen, die sich aber hoch motiviert für die bedürftigen Kinder einsetzen. Patres, die ihr Gelübde der Armut wirklich leben und rund um die Uhr für Straßenkinder oder Flüchtlingskinder wirken. Politiker oder Wirtschaftler, die nicht der Korruption oder der eigenen Gier verfallen, und für Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich wirken.

Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt, sagt ein irisches Sprichwort. Über die Jahre habe ich in den Projektgebieten viele neue Freunde gewonnen. Menschen, die mich mit ihrer überschwänglichen Herzlichkeit und Gastfreundschaft, in Gesprächen und mit ihrem Tun tief angerührt haben. Menschen, die ich schätze, denen ich vertraue, mit denen mich über alle kulturellen und sprachlichen Barrieren hinweg Vieles verbindet. Menschen, von denen ich weiß, dass sie sich mindestens genauso stark für die Bedürftigen und für Gerechtigkeit engagieren, wie ich dies versuche. Dadurch ist die Fremde für mich auch zu einem Stück Heimat geworden.

Im Namen des Teams von Childaid wünsche ich Ihnen allen eine gute Weihnachtszeit und nutze die Gelegenheit, mich bei Ihnen ganz herzlich für die großzügige Unterstützung und Ihre Begleitung auch 2015 zu bedanken.

Dr. Martin Kasper
ehrenamtlicher Vorstand, Childaid Network

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